karl siegel karl siegel - künstler

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        1952 in der nähe von kassel, unweit der innerdeutschen grenze geboren. einer gegend an der nahtstelle des kalten krieges, die der erste kanzler der bonner repuplik als hessisch-sibirien zu bezeichnen pflegte. geboren genau an dem tag, an dem es kurt schwitters, dem merzkünstler, nicht vergönnt war den 65. geburtstag zu feiern. der tod hatte ihn bereits abgeholt.
     1966 bis 1979 lehre und ausbildung in der welt der instrumentellen vernunft bei moralisch weniger qualifizierten als vielmehr in fremdbestimmung konditionierten weltkriegsveteranen. tätigkeiten als industriemechaniker, maschinenbauer, konstrukteur und techniker.
     1972 erster documentabesuch und begegnung mit joseph beuys, einem weltkriegsveteran der etwas anderen art. der hatte im "museum der 100 tage" mit seinem adlatus, dem altnazi und ex-ss-hauptscharführer karl fastabend, ein informationsbüro der "organisation für direkte demokratie durch volksabstimmung" eingerichtet. hier ist der einstige stuka-bordschütze beuys, beseelt von der esoterisch-okultischen lehre rudolf steiners, nicht müde geworden im predigerduktus zu verkünden, dass die kunst die allerhöchste stufe allen menschlichen schaffens einnimmt, und dass die würdigste bezeichnung für einen menschen die ist, ihn künstler zu nennen.
     das eigene streben nach "höheren stufen des schaffens" und würdigen formen des daseins nahm fortan eine wendung zu ebenso handfesten wie selbstbestimmten tätigkeiten. tätigkeiten, die völlig konträr zu abstrusen ganzheitsvorstellungen und anthroposophisch-völkischen verblendungszusammenhängen positioniert sind. ihnen sollte alsbald ein studium der freien kunst an der gesamthochschule kassel folgen.
     mit dem 1979 an der vormaligen akademie des documenta-begründers arnold bode begonnenen kunststudium ist rasch klargeworden, dass gesellschaftspolitische probleme nicht kunstimmanent zu lösen sind; und die daseinslage des menschen, die für das bewusstsein von elementarer bedeutung ist, sich mit den mitteln der kunst nicht zum besseren verändern lässt. folglich auch nicht mit jener strategie des erweiterten kunstbegriffs, mit der beuys kreatives handeln zum wohl des gemeinwesens als "soziale plastik" zu idealisieren vermochte.
     klargeworden ist zudem, dass soziale verhältnisse für eigene absichten instrumentalisiert werden, sofern sie darauf abzielen, "eine gesellschaftsordnung wie eine plastik (zu) formen". damit hatte sich beuys einer ebenso prophetischen wie utopischen "ideologie des charismas" verschrieben, mit der reale machtverhältnisse eher stabilisiert als infrage gestellt wurden, der kunstmarkt jedoch mit metaphysisch aufgeladenen hervorbringungen wirkmächtig bedient werden konnte. so passten in dem durch hegemoniale bedeutungsgebung gestützten beuysschen ideengebäude kunst und kapital, sakrale andacht und profane spekulation extrem gut zusammen.
     geprägt wurde das studium an der kasseler kunsthochschule gleichwohl vom getrimmt- und verdammtsein zum erfolg. es kulminierte im verfestigten professoralen ressortdenken mit dem diktum "qualität setzt sich immer durch", das ein stilles einverständnis zur schlechten wirklichkeit voraussetzte, aber nicht artikulierte, dass die geforderte formqualität ohne schlüssigen bezug auf inhalte kein relevantes merkmal in der ästhetischen debatte darstellt. geistige lockerungsübungen und nonkonformistische trainingseinheiten erschienen daraufhin unumgänglich. absolviert wurden diese in wohldistanzierter entfernung zu den diskurswächtern jener zeit als lehrreiche prügel-performances auf den schauplätzen der anti-atomkraft-bewegung.
     noch bevor die "jungen wilden" ihren neo-expressionistischen siegeszug durch die galerien der gegenwartskunst antraten und die beuysschen werke über millionenschwere mäzene - vorwiegend ehemalige nsdap-mitglieder und profiteure von arisierung und zwangsarbeit - in den musentempeln der westlichen welt platziert wurden, dämmerte den im kleinen zirkel an theodor w. adorno geschulten weggefährten, dass die durchsetzung von "qualität" in den multimanipulativ angelegten, gnadenlos durchkapitalisierten zusammenhängen des kunstbetriebs eine lang gehegte fiktion kunstbeflissener bildungsbürger ist, und die kultur selbst nichts weiter als "die ideologische manifestation der reklame für die welt, so wie sie ist".
     ab1985 freischaffend als bildhauer tätig und weiter unterwegs "auf dem argen weg der erkenntnis", welcher von kassel nach köln und von dort nach berlin führte. sporadische ausstellungsaktivitäten in der stets kritisch verzahnten grundhaltung, dass kunst kein vehikel zur verbesserung der welt ist, bestenfalls ein medium der reflexion, des reflektierenden gestaltens; dass die qualitative standortbestimmung von kunst, eben jenes gestaltens, immer nur intersubjektive gültigkeit beanspruchen kann; und dass kunst faktisch auf "wertung" gründet, ja überhaupt erst durch "wertung" in dem gesellschaftlichen kontext existiert, in dem sie vorgenommen und in abhängigkeit von der ihr inhärenten kapitalistischen verwertungslogik erlebbar wird.
     heute, nach nunmehr vier jahrzehnten kunstarbeit auf garantiert förder- und stipendienfreiem terrain, ist die erkenntnis gereift, dass jedes künstlerische schaffen in gesellschaftliche macht- und besitzverhältnisse mehr oder weniger tief eingelassen ist. eingelassen in verhältnisse, die von den quantitativen bewertungskategorien des marktes (indizes, rankings, umsatzzahlen) dominiert werden, um im widerspruch zwischen freiheitspostulat und kapitalistischer realität die exklusiven geschmacksvorlieben globaler geldeliten zu bedienen. künstlerische gehalte und formqualitäten bilden für die ästhetische relevanz marktgetriebener kunst ohnehin keine verbindlichen kriterien. kunstschaffende, die mit dieser marktradikalen kommodifizierung und kulturellen verwertung konform gehen, um etwa ein alleinstellungsmerkmal ihrer arbeiten zu sichern, obgleich diese moralisch eher entgegengesetzt codiert sind, machen sich zu hofnarren des kapitals. sie hinterfragen unter missachtung gesellschaftlicher dialektik den kunstbetrieb mit dem bloßen stilmittel der ambivalenz, bleiben letztlich aber doch loyal zum marktkapitalistischen günstlingssystem. kritische kunstarbeit ist in diesem umfeld, das von kulturökonomischen eliten mit feudalem flair maßgeblich beeinflusst wird, nur aus einer fundamental entgegengesetzten haltung der verweigerung denkbar.
     damit wird einsichtig, dass selbst im vornehmlich bildungsbürgerlich determinierten "handlungsraum", in dem kunst noch nicht vollends zum spielball ökonomischer interessen verkommen ist, mit jeder "ästhetischen haltung" herrschaft reproduziert wird. der kunstbegriff als solcher aber keine höheren stufen des schaffens markiert, sondern abgrundtiefe semantische leerstellen, die von einschlägigen festlegungsspezialisten und gut bezahlten postulierern im markt-medien-zusammenhang fortwährend neu gefüllt werden.
     nichtsdestotrotz ist unstrittig, dass der mensch als kunstschaffender den bestehenden verhältnissen insofern nicht ganz hoffnungslos gegenübersteht, als er sich in konkreten handlungen realisiert. resultiert doch gerade daraus das bemühen, einer welt des faktischen und nivellierten eine welt des konstruktiv-möglichen gegenüberzustellen.

 
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